Ursula von der Leyen ist bisher nicht dadurch
aufgefallen, dass sie mit besonderem Nachdruck unangenehme Positionen
vertreten hat. Als Familienministerin wurde sie populär, weil sie für
mehr Kindergartenplätze und für das Elterngeld kämpfte. Als
Arbeitsministerin präsentierte sie sich als Retterin von Karstadt –
zu einem Zeitpunkt, als bei der Rettung des Kaufhauskonzerns nicht
mehr viel schiefgehen konnte. Obwohl oder gerade weil von der Leyen
als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt wurde, ist
sie in der CDU inzwischen stärker denn je. Man darf also gespannt
sein, wohin die Ministerin ihr politischer Instinkt führt, wenn es um
die Neuberechnung der Hartz-IV-Bezüge geht. Offiziell richtet sich
alles nach objektiven Kriterien, es werden amtliche Statistiken
herangezogen und durchgerechnet. Letztlich aber ist diese Berechnung
immer auch eine politische Entscheidung, da helfen alle Beteuerungen
des Sozialministeriums nichts. Die Erwartungen der Sozialverbände an
eine Steigerung der Sätze sind groß, und die Koalition könnte
versucht sein, endlich einmal positive Schlagzeilen zu generieren.
Als Hartz-IV-Beziehern im Zuge des Sparpakets das Elterngeld
gestrichen wurde, musste sich Schwarz-Gelb den Vorwurf der sozialen
Kälte gefallen lassen. Die Ministerin begehrte damals nicht dagegen
auf, zumindest nicht öffentlich. Sie trug die Sparbeschlüsse mit und
mag dabei insgeheim einkalkuliert haben, dass die Bezüge für
Hartz-IV-Empfänger, vor allem für jene mit Kindern, wieder auf die
Tagesordnung kommen würden. Das Urteil des Verfassungsgerichts, das
die Neuberechnung der Sätze nötig macht, datiert ja bereits aus dem
Februar. Von der Leyen hatte damals bereits gesagt, es werde nicht
mehr Geld für Kinder geben, sie hatte aber angekündigt, dass der vom
Verfassungsgericht verlangte höhere Bedarf durch Gutscheine und
Sachleistungen gedeckt werden solle. Damit sollen Kinder an Sport-
oder Kulturangeboten teilnehmen oder ein Mittagessen in der Schule
bekommen können. Von den Regelsätzen für Erwachsene sagte sie damals
nichts. Diese aber werden künftig schon allein deshalb etwas stärker
steigen als bisher, weil sie nicht mehr an die Renten gekoppelt
werden, das hatte das Verfassungsgericht ebenfalls gerügt. Künftig
sollen die Entwicklung von Löhnen und Gehältern und die Inflation der
Maßstab sein. Das Füllhorn kann die Ministerin nicht ausschütten, das
gibt der Bundeshaushalt nicht her. Aber sie wird das
Verfassungsgerichtsurteil so umsetzen, dass sie erneut in ihre selbst
gewählte Rolle als „Anwältin der Schwachen“ schlüpfen kann. Eine
Rolle übrigens, die in den Unionsparteien nicht viele besetzen
wollen. Von der Leyen wird positive Akzente setzen – für die
Hilfsbedürftigen und nicht zuletzt für sich selbst.
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