Ein vom Auswärtigen Amt in Berlin für Oktober 2017
angekündigter Bericht zur Sicherheitslage in Afghanistan verzögert
sich weiter. Nach Recherchen des Ressorts Investigation des NDR ist
derzeit noch nicht abzusehen, wann er vorgelegt wird. Trotzdem
schiebt Deutschland wieder nach Afghanistan ab.
Am 31. Mai war in Kabul ein mit Sprengstoff gefüllter Tankwagen
unmittelbar vor der deutschen Botschaft explodiert. Mehr als 150
Menschen starben. Seither kann die deutsche Vertretung nicht mehr
genutzt werden. Die Bundesregierung setzte Abschiebungen nach dem
Anschlag zunächst aus und versprach, die Sicherheitslage neu zu
bewerten. Doch das ist nicht geschehen. Die deutsche Botschaft in
Kabul, die wichtige Informationen für den Bericht liefern müsste,
wurde beim Anschlag schwer beschädigt und ist weiterhin kaum
arbeitsfähig. Außer Botschafter Walter Haßmann sind nur zwei weitere
Referenten vor Ort in Afghanistan. Sie arbeiteten nicht vom
Botschaftsgelände, sondern von anderen Liegenschaften aus.
Bereits im August dieses Jahres wandten sich das Auswärtige Amt
und das Bundesinnenministerium mit einem Zwischenbericht an die
Länder sowie die Abgeordneten des deutschen Bundestages. Darin hieß
es, dass das Personal der Botschaft erst nach Abschluss
„umfangreicher Bau- und Schutzmaßnahmen“ seine Arbeit wieder
aufnehmen könne. Bei dem Zwischenbericht handelte es sich allerdings
ausdrücklich nicht um einen Asyllagebericht. Trotzdem setzte
Deutschland im September seine Sammelabschiebungen nach Afghanistan
fort, aber beschränkt auf Gefährder, Straftäter und Menschen, die
ihre Identität nicht preisgeben wollen.
Asyllageberichte des Auswärtigen Amtes sowie so genannte
Länderberichte von Nichtregierungsorganisationen wie der Schweizer
Flüchtlingshilfe dienen Rechtsanwälten und Gerichten häufig als
Grundlage für Asylverfahren. Bernd Mesovic von Pro Asyl spricht von
einer sich rapide verschlechternden Sicherheitslage und kritisiert,
dass Deutschland auch ohne neuen Lagebericht nach Afghanistan
abschiebt. „Die Entscheidungsmaschinerie läuft weiter, obwohl zu
zentralen Fragen vom Auswärtigen Amt keine aktuellen Erkenntnisse
geliefert wurden. Das betrifft Themen, die sich entscheidend auf die
Asylverfahren auswirken: Welche Gebiete sind für welche
Personengruppen sicher, zugänglich und zumutbar? Hier gibt es nur
diffuse Hinweise.“ Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das
die Asylanträge bearbeitet, ließ eine Anfrage des NDR unbeantwortet.
In der aktuellen „Unterrichtung des Parlaments“, ein
vertraulicher, regelmäßig erscheinender Bericht über die
Auslandseinsätze der Bundeswehr, heißt es, dass die Sicherheitslage
in den meisten Städten ausreichend kontrollierbar sei. Allerdings
zählt er auch eine Reihe von Anschlägen und Gefechten auf. Die
Vereinten Nationen führen eine Statistik über die zivilen Opfer in
Afghanistan. Die Zahlen stagnieren seit 2014 auf hohem Niveau. Im
ersten Quartal 2017 wurden mehr als 8000 Zivilisten verletzt oder
getötet.
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