Die Kritik kommt von vielen, und darunter sind auch
politische Hochkaräter: unter anderem die Altkanzler Schmidt und
Schröder. Sie halten es für falsch, dass Russlands Präsident nicht
zum G7-Gipfel eingeladen wurde. Schröders enges Verhältnis zu seinem
Spezi Putin ist bekannt, und Schmidt hat noch nie ein Geheimnis
daraus gemacht, dass er auch mit Despoten stets gut auskam, weil
politische Realität nun mal über politische Moral gehe. Dass die G7
unter sich bleiben wollen, ist dennoch richtig. Dabei braucht niemand
den dämlichen Streit über den Begriff „Putinversteher“ wieder
aufzugreifen. Jeder vernünftige Politiker bemüht sich, den Mann im
Kreml und dessen Motive und Handlungsweisen zu verstehen. Es
irritieren nur jene, die ihn und die Aggressivität seines Regimes
verteidigen. Nach allem, was Putin jüngst angestellt hat, kann man
sich mit ihm nicht in derart vertraulicher Runde zusammensetzen. Das
ist schon eine Frage des politischen Anstands; es gibt Dinge, die tut
man einfach nicht. Damit ergreifen die G7 nicht automatisch Partei
für die Regierung der Ukraine. In Kiew liegt viel im Argen; dessen
ist sich der Westen bewusst.
Eine Insel
Dass die jeweiligen Gastgeber ihren G7-Gästen die Vielfalt und
Schönheit ihrer Heimatländer präsentieren wollen, ist eine
verständliche und schöne Geste; auch das gehört zum guten Umgang.
Aber der personelle, materielle und finanzielle Aufwand für ein
solches Gipfeltreffen ist zu hoch; wer ihn für angemessen hält, hat
die normalen Maßstäbe ganz gewöhnlicher Menschen über Kosten und
Nutzen verloren. Allerdings – das stimmt: Der direkte Kontakt ist
wichtig, um gegenseitiges Vertrauen aufzubauen und gute Lösungen zu
finden. Es wäre vernünftig, die großen und reichen Länder dieser Welt
würden sich irgendwo zwischen Alcatraz und Helgoland eine kleine
Insel suchen, ein paar hundert Millionen zusammenlegen und dort ein
solides, sicheres und schönes Kongresszentrum mit Hotel bauen lassen.
Da können sie jedes Jahr ganz entspannt und ohne tausend Türsteher
den Gedankenaustausch pflegen, ihren Staatsetats jede Menge Geld
ersparen und die Anlage zwischendurch teuer vermieten. Auch dort
könnte der Vorsitz reihum wechseln und genug Vorsorge getroffen
werden, um auch G8, G9, G10 oder G20 über die Bühne zu bringen.
Dieser Vorschlag ist – touristisch betrachtet – eine Katastrophe.
Aber der alljährliche Zirkus um die G7 ist dekadent.
Zwei Gebote
Dagegen zu protestieren, gibt es also gute Argumente. Und wer
gegen die Politik einzelner oder aller aus dem Kreis der G7
demonstriert, kann das aus vielerlei nachvollziehbaren Gründen tun.
Dieser – vor allem mit Blick auf Klimaschutz und Finanzmärkte –
dringend notwendige Protest wird in den kommenden Tagen
wahrscheinlich wieder überschattet werden vom blindwütigen Terror
sogenannter Linksautonomer, die davon überzeugt sind, dass gegen „die
strukturelle Gewalt des Kapitalismus“ jede Brutalität gerechtfertigt
ist. Es ist ein Gebot der Fairness, beide Phänomene zu trennen:
berechtigte Demonstrationen und hemmungslose Militante. Es ist ein
Gebot der Klugheit und des eigenen Interesses, dass jene, die rund um
Garmisch-Partenkirchen Sternmärsche und Camps organisieren, sich
nicht vom altnationaldeutschen Antiamerikanismus leiten lassen. So
viele Probleme und so wenig Zeit – trotzdem bleiben diese G7-Treffen
wichtig. Die Beteiligten müssen sich nur an ihren eigenen hohen
Ansprüchen messen lassen, ohne Wenn und Aber Vorreiter sein – zum
Beispiel bei der CO2-Reduzierung. Schöne Bilder wird es am Sonntag
und Montag genug geben. Die werden niemanden von der Weisheit und
Weitsicht der G7 überzeugen. Dafür müssten die sechs Herren und ihre
Gastgeberin sehr konkret werden und mutig sein.
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